Das Projekt „Young Verified Leaders“ (YVL) ist das Ergebnis internationaler Solidarität und einer langjährigen Partnerschaft zwischen den Organisationen „ADEEJ“ und „ALEJ“ (Algerien), „We love Sousse“ (Tunesien) und der Solijugend. Das Projekt wurde aus zwei Gründen initiiert: Erstens um die Kooperation zu den nordafrikanischen Partnerorganisationen und unsere trilaterale Verbindung zu stärken, die während der Pandemie stark beeinträchtigt wurde; zweitens um den Kontakt nach der Pandemie halten und in der Zukunft weitere gemeinsame Projekte umsetzen zu können.
Im Rahmen des Programms haben wir junge Algerier*innen, Tunesier*innen und Deutsche als internationale*r Jugendleiter*in qualifiziert. Am Ende der Ausbildung erhielten alle eine Juleica (Jugendleiter*innenkarte).
Die Teilnehmenden erhielten Zugang zu methodischen Werkzeugen sowie notwendigem Know-how und profitierten vom Wissenstransfer erfahrener Expert*innen, um selbstständig internationale Jugendbegegnungen zu organisieren und Gruppen zu leiten. Das Projekt wurde von Juli 2021 bis Dezember 2022 aus Mitteln des Auswärtigen Amts gefördert.
Geteilte Visionen
Die Freundschaft, die die Solijugend mit Algerien und Tunesien verbindet, besteht schon seit Langem: Seit vielen Jahren nehmen unsere Partnerorganisationen ADEEJ, ALEJ und We love Sousse aktiv am Jugendlager teil. 2020 hat die Solijugend mit allen drei Organisationen beim ersten – und hoffentlich letzten – „Online-Jugendlager“ enger zusammengearbeitet. Diese gemeinsame Erfahrung spielte eine wesentliche Rolle für die Auswahl der Partner in der ersten Phase des Projekts, als der Förderantrag geschrieben wurde. Es war uns wichtig, auf die vielfältigen Erfahrungen aufbauen zu können, die durch die enge Zusammenarbeit gesammelt worden waren.
Neben den oben erwähnten Zielen war es ein weiteres Anliegen des Projekts, Brücken zwischen den Organisationen in Tunesien und Algerien und unseren aktiven Mitgliedern auf lokaler Ebene zu bauen. Wir wollten nicht nur beide Seiten für die eigenständige Durchführung von internationalen Austauschformaten qualifizieren, sondern auch ein Netzwerk von jungen „Führungskräften“ auf nationaler und internationaler Ebene aufbauen, in dem die Stimmen aller Akteur*innen gehört werden.
Dabei war es den vier beteiligten Vereinen ein wichtiges Anliegen, Vorurteilen und Radikalisierung entgegenzuwirken: Wir sind der festen Überzeugungen, dass interkulturelle Austausche trotz vieler Hindernisse dazu beitragen können, auch dieses Ziel zu erreichen. Die Tatsache, dass unsere Mitglieder aus diversen Kulturen kommen, sehr unterschiedliche finanzielle Ressourcen mitbringen, aber gleichzeitig ähnliche Lebensstile und Wünsche teilen, führte zu überraschenden Synergieeffekte. Eine von Anfang an von den Partnern geteilte Vision machte das Projekt einzigartig.
Projekt vs. Pandemie und Passprobleme
Die jungen Teilnehmenden und das Koordinationsteam haben gewagt, die internationale Solidarität (neu) zu denken. Der Weg zu diesem hochgesteckten Ziel war aber steil und dornig und nicht mühelos zu gehen: Die globale Pandemie hat den internationalen Dialog und die Jugendarbeit erschwert und eingeschränkt. Corona erforderte, neue Herangehensweisen auszuprobieren, sich kreativ zu widersetzen und immer wieder den Status quo zu hinterfragen; alle Beteiligen mussten immer wieder flexibel sein und lernen, mit Unsicherheiten im Arbeitsumfeld umzugehen.
Zusätzlich zu den strukturellen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Pandemie wurde die optimale Umsetzung des Projekts durch Hemmnisse anderer Art behindert: Das gesamte Team bedauert sehr, dass die „Young Verified Leaders“ sich im Juli nicht vollständig in Heidelberg treffen konnten. Tatsächlich hatte eine der beteiligten Organisationen aus Algerien, „ALEJ“, vertreten durch Nasser Belkacem und drei weitere algerische Teilnehmende, keine Visa für Deutschland erhalten. Auch mit vielen Versuchen bei der deutschen Botschaft in Algerien konnte nicht erreicht werden, dass die Mitglieder, die seit mehr als zehn Monaten am Projekt teilgenommen hatten, nach Deutschland fliegen durften. Die Nichterteilung der Visa hat die vollständige Umsetzung der Projektziele verhindert. Dies wäre nur möglich gewesen, wenn alle Beteiligten sich vor Ort getroffen hätten.
Analoge und hybride Highlights
Die Hauptaufgabe unseres Projekts bestand darin, junge Menschen aus Deutschland, Algerien und Tunesien in Gruppen auszubilden. Das einzigartige Programm kombinierte hybride und Face-to-face-Aktivitäten in einem internationalen und multidisziplinären Umfeld mit einer großen sprachlichen Vielfalt. Das Projekt diente dazu, den Wissenstransfer zwischen Haupt- und Ehrenamt zu fördern, die Untergliederungen der internationalen Jugendarbeit zu stärken und Führungskompetenzen zu erweitern. In praktischen und theoretischen Lerneinheiten wurden verschiedene Aktivitäten durchgeführt. Während der 18-monatigen Projektlaufzeit wurden neben verschiedenen Online-Workshops auch drei Begegnungen in den beteiligten Ländern durchgeführt.
Hier ein Rückblick auf die wichtigsten Stationen des „Young Verified Leaders“-Abenteuers:
Zur Vorbereitung der Teilnehmenden auf das Juleica-Training wurden sechs Workshops konzipiert:
- „Leadership & Interculturality“
Inhalte waren Vielfalt, Menschenrechte und Vorurteile – und was dies mit guter Führung zu tun hat. Konkret erfahrbar und anschaulich wurden diese Themen unter anderem, als die Teilnehmenden sich im Rahmen von Biografiearbeit über die Geschichte ihrer Namen austauschten.
- „Women and Leadership“
In dem zweistündigen Workshop spielte folgende Frage eine zentrale Rolle: „Was brauchen Frauen, um ihre beruflichen Verpflichtungen und ihr Privatleben miteinander in Einklang zu bringen?“ Auch folgende Themen wurden behandelt: Das Hinterfragen von voreingenommenen Urteilen und patriarchalischem Erbe sowie struktureller Faktoren, die Frauen marginalisieren; weibliche Führungsqualitäten/-stile.
- „Leadership and Conflict Management“
Hier ging es darum, konkrete Konfliktsituationen zu bearbeiten, die im Alltag der jungen Teilnehmenden auftreten können. Es ist wichtig daran zu erinnern, dass das Ziel der Workshops darin bestand, während des gesamten Programms nicht nur spezifisches Wissen für die Leitung von Gruppen zu vermitteln, sondern die Teilnehmenden auch in praktische Situationen zu versetzen und ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, wie Konflikte nachhaltig gelöst werden können.
- „Mental and physical health during corona“
Inhaltlich ging es um psychische und physische Probleme, die wir während des Corona-Lockdowns erlebt wurden. In kleinen Gruppen diskutierten die Teilnehmenden über Wahrnehmung und Gefühle während dieser einsamen Zeit. Darüber hinaus war es den Young Verified Leaders auch sehr wichtig, über Resilienz (genauer gesagt, Aufbau von mentaler Stärke) zu sprechen. Außerdem sammelten sie Möglichkeiten, Strategien und Tipps für alle am Workshop beteiligten Länder, wie mit einer möglichen nächsten gesamtgesellschaftlichen physischen und psychischen Krise umgegangen werden kann.
- „Medien: Einfluss und Auswirkungen auf die Gesellschaft“
Zum Einstig haben die Teilnehmenden in kleinen Gruppen folgende Fragen beantwortet: Was bedeutet das Wort Medien für dich, was ist ein Medium? Woher kommen die meisten eurer Informationen?
Es wurde festgehalten, dass Soziale Medien an erster Stelle stehen; sie sind für Jugendliche der einfachste Weg, um sich zu informieren. Anschließend wurden die Teilnehmenden in Kleingruppen aufgeteilt, um sich über die Vor- und Nachteile der Medien auszutauschen, was für viele sehr aufschlussreich war. Die Teilnehmenden erwähnten unter anderem, dass es dem Selbstwertgefühl schaden könne, wenn man ständig Trends auf Instagram folgen würde.
- „Racism through a youth lens“
Im sechsten und letzten Workshop wurden unter anderem Bilder gezeigt, die Rassismus aus historischer Sicht beschreiben, und die Teilnehmenden aufgefordert, ihre Gedanken zu diesen Bildern zu äußern. Darüber hinaus befasste sich der Workshop mit systemischem Rassismus und der Frage, wie Institutionen oder Organisationen mit Rassismus umgehen. Unter anderem wurden dazu einige Beispiele und Statistiken aus dem Bereich der Bildung näher beleuchtet.
Neben diesen monatlichen Online-Treffen hatten die Beteiligten auch dreimal die Gelegenheit, sich persönlich zu treffen: Während des Fachkräfteaustauschs in Tunesien im Dezember 2021, auf den internationalen Begegnungen in Heidelberg im Juli 2022 und bei einer „Partnerbörse“ in Algier im Dezember 2022.
Viele Hoffnung trotz einer ungewissen Zukunft
Trotz der vielfältigen Multiplikatoreneffekte des YVL-Projekts wird das Programm 2023 zur Enttäuschung der Mitglieder und der Partnerländer vorerst nicht fortgesetzt. Grund dafür ist, dass über das Auswärtige Amt aufgrund der allgemeinen Haushaltslage keine Anschlussfinanzierung möglich war. Trotzdem arbeiten die Partner mit Hochdruck an Möglichkeiten der Fortführung.
Ein Projekt dieser Größe braucht viel mehr Zeit, um Früchte zu tragen. Obwohl die Ziele weitgehend erreicht wurden, konnten die langfristigen Pläne, die das Team entwickelt hatte, nur ansatzweise umgesetzt werden. Eine der Herausforderungen des Projekts, die wir bis zum Ende des Förderzeitraums im Dezember 2022 nicht bewältigen konnten, war die Standardisierung des Ausbildungsnachweises auf internationaler Ebene. Unser langfristiges Ziel war von Anfang an ein einheitlicher, von allen beteiligten Ländern anerkannter Nachweis der internationalen Ausbildung. Nicht zuletzt, weil eine solche „internationale Jugendleiter*in-Card“ auch Visumsprozesse vereinfachen könnte. Allerdings kann so eine internationale Standardisierung nur im Laufe von Jahren gelingen, wenn mehrere „Generationen“ die Ausbildung durchlaufen haben – und nicht bereits nach einigen Monaten.
Wir bleiben der festen Überzeugung, dass wir eine standardisierte Ausbildung internationaler Jugendleiter*innen über EU-Grenzen hinweg brauchen, um zukünftigen Herausforderungen meistern zu können. Die politische Anerkennung eines Projekts wie „Young Verified Leaders“ – und sei es nur symbolisch – würde zweifelsohne die Bereitschaft Jugendlicher und junger Erwachsener fördern, sich ehrenamtlich einzubringen.
Das Projekt wird zwar nicht weiterfinanziert, aber unsere Ambitionen haben sich nicht erledigt. Die interkulturelle Dimension unserer Programme kann nur aufrechterhalten werden, wenn Peer-to-Peer-Austausche weiterentwickelt werden. Das Kennenlernen des Anderen, seiner Geschichte und Kultur, findet in Projekten statt, die von Fachleuten und oft von Menschen ausgearbeitet wurden, die früher selbst als Jugendliche von Austauschprogrammen profitiert haben. Sie sind meist am besten in der Lage, innovative und durchdachte internationale Begegnungen zu konzipieren.
Zuletzt ist es wichtig zu betonen, dass die Solijugend eine der wenigen deutschen Organisationen ist, die ein Projekt dieser Größenordnung mit drei Partnern aus zwei Maghreb-Ländern in der internationalen Jugendarbeit durchgeführt hat. Wir hoffen, dass sich das ändert und das „Young Verified Leaders“-Programm nur der Anfang einer langen Reihe von Kooperationen ist. Das Rad muss dabei nicht neu erfunden werden: Zukünftige Projekte können die Ergebnisse und Erfahrungen von 18 Monaten „Young Verified Leaders“ nutzen. Vor allem deshalb haben die Projektwebsite Woche für Woche aktualisiert und die Erfahrungen der Teilnehmenden in Form eines Handbuchs dokumentiert. Von diesem Wissen können und sollen auch andere Träger profitieren, die sich in der internationalen Jugendarbeit engagieren.