Reisebericht von Heike Adomat über unsere Deutsch-Russische Jugendbegegnung, die vom 29. Juni bis zum 13. Juli in Krasnodar und Orljonok stattgefunden hat.
Samstag, 29. Juni
Die Fahrt verlief problemlos. Transfer nach Berlin, Flug nach Sankt Petersburg, Warten mit Name-Stadt-Land-Spiel im Flughafen und Weiterflug nach Krasnodar- alles klappte problemlos. Wladimir wartete, das Taxi auch und im Nu waren wir im Hotel.
Wir gingen gleich zum Pizzaessen und bummelten anschließend auf der großen Fußgängerzone, die nur am Wochenende verkehrsfrei ist und sonst eine ziemlich gefährliche Rennpiste, und dann zurück zum Hotel. Unterwegs beobachteten wir Straßenkünstler*innen, Musiker*innen, Tänzer*innen und bewunderten die vielen Lichter.
Die Jugendlichen fühlen sich wohl und sind voller Tatendrang, die fremde Welt zu entdecken. Manche probieren sich schon im Russischsprechen. Das ist ein wunderbares Gefühl, denn die ersten Grundlagen durfte ich ihnen mit auf den Weg geben.
Sonntag, 30. Juni
Was für ein erlebnisreicher Tag! Es fing mit einem köstlichen Frühstück in Form eines „Schwedischen Tisches“, so heißt ein Selbstbedienungsbuffet in Russland, an. Brot, gekochte, gebratene Eier, Butter, Wurst, Käse, Quark, Müsli, Marmeladen und Honig, warmer Quarkkuchen, Eierkuchen, Tortenstücke, Gurke, Tomate, Saft, Tee, Wasser und Kaffee…und das bis zum Abwinken.
Wir besuchten anschließend das historische Museum der Stadt. Es ist gleich um die Ecke, also gar nicht weit. Dennoch konnten wir feststellen, dass „unsere“ Straße wieder von Fußgänger*innen bevölkert war. Im Museum hatten wir zwei interessante Führungen. Zunächst berichtete man uns über die Entwicklung des Kuban, so heißt die Gegend hier.
Eine bedeutende Rolle spielten und spielen dabei die Kosak*innen, die von Katharina der Großen dieses Land zu Verfügung gestellt bekamen, um es zu besiedeln. Natürlich macht eine Zarin das nicht ohne Hintergedanken. Das „kriegerische“ Völkchen sollte ihr den Rücken freihalten vom türkischen Volk und anderen Gesellen, die ein Auge auf Mütterchen Russland geworfen hatten. Der Plan ging auf. Die späteren Zaren taten es ihr gleich und erklärten per Schenkungsurkunde die Kosak*innen zum rechtmäßigen Nutzer dieses Landstriches.
Selbst Putin gestattete 2006 den Kosak*innen wieder einen eigenen Stützpunkt, der sich in Krasnodar befindet. Jeden Sonntag findet auf „unserer“ Straße eine große Kosak*innenparade statt. Wir durften sie erleben und verbanden so Museumtheorie mit hautnaher Praxis. Uniformierte Blasmusik spielende marschierende Kosak*innen, Säbelfechter*innen, Sänger*innen, Reiter*innen—uns bot sich ein farbenfrohes Bild und nach dem ersten Tagespunkt hatten wir schon viel gelernt.
Der sich anschließende Stadtrundgang führte uns zur Kathedrale der Heiligen Katharina, die die Hauptkirche der Gläubigen der Krasnodarer Gegend ist. Der Pope höchstpersönlich empfing uns und führte uns durch die Kirche. Die Jugendlichen waren beeindruckt von der Fülle des Schmucks an den Altären, vom vielen Gold, von der feierlichen Stimmung und hörten gespannt den Erklärungen zu. Etliche nutzten anschließend einen Moment der Ruhe, um an einem der zahlreichen Kerzenständer eine Kerze anzuzünden.
Wir bummelten dann zum Denkmal von Katharina der Großen, lauschten dem Bericht des Stadtbilderklärers und kamen alsdann ziemlich müde zum Mittagessen. Die Pause diente auch der Erholung. Bestens gestärkt besichtigten wir die nahegelegene Gemäldesammlung Krasnodars und lernten innerhalb einer Stunde die russische Kunstgeschichte vom 16. Jahrhundert bis heute kennen. Lewitan, Serow, Schischkin, Aiwasowski oder Kandinski verbinden wir nunmehr mit russischer Kunst, denn wir haben sie im Original gesehen.
Abends fuhren wir mit der Straßenbahn an das eine Ende der Fußgängerzone und hatten unsere helle Freude am Tanz der singenden und leuchtenden Wasserfontänen. Grandios!!! Ein anderer Begriff wäre unpassend.
Montag, 01. Juli
Nach dem üppigen Frühstück fuhren wir in einen Vorort Krasnodars, vorbei an blühenden Sonnenblumenfeldern, Kamelien und Aprikosenbäumen mit reifen Früchten, zu einem Jugendzentrum, das einem Palast ähnelt, gefahren. Dort empfingen uns ca. 30 Jugendliche, die zu einem insgesamt 500-köpfigen Folkloreensemble gehören. Im Jugendlichepalast beschäftigen sich 1500 Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit mit den sie interessierenden Dingen. Dort arbeiten 90 festangestellte Mitarbeiter*innen. Krasnodar hat als knappe Millionenstadt 180 solcher Einrichtungen.
Wir durften eine ganz normale Probe sehen. GANZ NORMAL- heißt, vier Doppelstunden pro Woche Hochleistungssport. Wahnsinn, was die Jugendliche können. Springen, hüpfen, laufen, rennen, marschieren, akrobatische Übungen in einem irren Tempo, dabei die Körperspannung nie vergessend und stets lächelnd. Nicht zu fassen, wie sie das machen. Unsere Jugendlichen waren voller Hochachtung. Sie hätten dieses Pensum nicht durchgestanden. Und wenn man dann noch weiß, dass die Jugendliche dieses Training nach oder VOR der Schule absolvieren, je nachdem ob sie in der 1. oder 2. Schicht Unterricht haben, steigt die Wertschätzung umso mehr.
Im Anschluss wurden wir gemeinsam aktiv. Wir versammelten uns auf der Bühne und lernten einige Tanzschritte, um sodann mit den russischen Jugendlichen einen gemeinsamen Tanz auf das Parkett zu legen. Man war begeistert – und zwar von allen Seiten.
Der nächste Abschnitt unseres Besuchs nannte sich- Kennenlernen / Kommunikation. Es dauerte exakt drei Sekunden und man war im Gespräch. Russisch, Deutsch, Englisch, Hände, Füße, Handy- man nutzte alle zur Verfügung stehenden Hilfsmittel und kam ins Gespräch. Eine Freude dem Treiben zuzusehen. Die Verabschiedung war herzlich und mit viel Wehmut verbunden, die Jugendlichen wären gern länger geblieben. Wir gingen übrigens nicht ohne Gastgeschenke, die große Freude bereiteten.
Hier jagt ein Höhepunkt den nächsten. Wir folgten einer Einladung ins Invalidenzentrum und bereuten es nicht. Ich hatte die Jugendliche „vorbereitet“ und sie verhielten sich grandios. Liebe- und verständnisvoll begegneten sie den behinderten Menschen und machten alles mit. Die künstlerischen Projekte von der Ölmalerei über Töpferei bis hin zum Strohflechten wurden in Angriff genommen und tatsächlich auch erfolgreich zu Ende gebracht. Die strahlenden Augen, wenn sie das Ergebnis ihrer Kreativität in der Hand hielten, machten alle glücklich.
Die Herzlichkeit im Invalidenzentrum ist überwältigend, die Fülle an Eindrücken unglaublich. Und als es ans Auf–Wiedersehen-sagen ging, floss so manche Miniträne. Mit Geschenken überhäuft, machten wir uns auf den Weg. Zum Glück waren wir nicht mit leeren Händen gekommen. Der Kunstkoffer wurde mit großem Hallo entgegengenommen. Fotos, Videos, Zeichnungen und Malereien werden an unseren Besuch erinnern und sicher auch bald auf der Internetseite des Studios zu sehen sein.
Voller Eindrücke, aber ziemlich geschafft, machten wir uns in Richtung Abendbrot zu Fuß auf den Weg, waren wir doch heute kaum gelaufen.
Dienstag, 02. Juli
Ausgeschlafen und bestens mit Frühstück versorgt, machten wir uns auf den Weg in eine andere Republik. Russland besteht aus Zentralrussland und zahlreichen Republiken, in denen Menschen mit z. T. anderen Nationalitäten wohnen. In unserem Fall ist es die Republik Adygea, der wir einen Besuch abstatteten.
Die Sonne meinte es heute sehr gut mit uns. Die erwarteten 32 Grad erreichten wir tatsächlich. Folglich war die Fahrt mit einem Taxi (Marschroutka), dass sehr alt, unklimatisiert und wacklig war- der deutsche TÜV hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen- eine wunderbare Stunde in Landeskunde. Generell sind wir der Meinung, dass in einem bestellten klimatisierten Bus jeder fahren kann, aber um das Land kennenzulernen, muss man Straßenbahn, Marschroutka und Zug gefahren sein. Das alles machen wir, genau deswegen sind wir hier.
Kurzum, wir fuhren ca. 35 Minuten, überquerten den Fluss Kuban und kamen problemlos über die Grenze nach Adygea. Im Ort Enem erwartete man uns in einem ehemaligen Kulturpalast, der auch heute noch für kulturellen Veranstaltungen und Feste genutzt wird. Er wird aber auch Kinder und Jugendlichen zur Verfügung gestellt, um ihnen Freizeitbeschäftigungen zu ermöglichen.
Haben wir uns gestern beim Folkloreensemble mit russischer Tradition und Kultur beschäftigt, so lernten wir heute die adygeische kennen. Die Adygen sind ein uraltes kaukasisches Kulturvolk, das seine Traditionen bewahrt und den Jugendlichen weitergibt. Uns erwartete das adygeische Tanzensemble „Flamme“. Der Name war Programm. Ein Feuerwerk aus Tempo, Spitzentänzen, Sprüngen, Drehungen, Flickflacks und wildem Trommeln wurde abgefackelt. Einfach unvorstellbar, mit welcher Eleganz, Können, Präzision, Schnelligkeit, Ausdauer, Kraft aber auch Freude, Achtung gegenüber der eigenen Kultur und Stolz man uns die Tänze präsentierte. Waren wir gestern schon fasziniert von den Tänzen, so saßen wir heute staunend, verblüfft und sprachlos in den Sesseln. Worte lassen sich schwer finden, man muss es gesehen haben.
Unsere Jugendlichen sind immer zu allem bereit. So nahmen sie auch heute die Einladung zum gemeinsamen Tanz an. Beide Seiten hatten ihre Freude, tanzten und trommelten zusammen und fanden dann auch sehr schnell zum Gespräch. Man lud uns spontan zu Gebäck und Saft ein- die gereichten warmen Blätterteigtaschen mit adygeischem Käse waren köstlich. Übrigens ist man gerade dabei, sich diese Käsemarke patentieren zu lassen. Verstehen kann man es, der Käse hätte es verdient.
Das Abschiednehmen fiel schwer, musste aber sein. Zufrieden und voller Eindrücke stiegen unsere Jugendlichen in die Marschroutka, die uns fast bis zum Hotel zurückbrachte. Dort wartete das Mittagessen, das wieder so aussah, dass jeder wählen konnte, was er wollte.
Der nächste Tagesordnungspunkt stand an. Wir besuchten das Zentrum für kreative und schöpferische Bildung, dass im historischen Gebäude des ersten Knabengymnasium der Stadt untergebracht ist. Nunmehr die dritte Einrichtung, in der Jugendliche völlig kostenfrei ihren Hobbys, Neigungen und Talenten nachgehen können. Malen, kreative Kunst, Instrumente, Schach, Computertechnik, Programmieren, Gesang, Sport, Schreiben, Lesen, Fremdsprachen- unsere Gruppe ist neidisch.
Ein Besuch im Museum im gleichen Haus machte uns mit der Geschichte der Pionierorganisation Krasnodars vertraut und ließ natürlich nicht aus, wie und dass Jugendliche im 2. Weltkrieg, dessen Ende sich 2020 zum 75. Mal jährt, gelitten haben oder zu Held*innen geworden sind. Die Jugendlichen waren sehr betroffen von einigen Schicksalen und hielten nachdenklich inne. Ein Geschichtsstunde gratis, die Wirkung zeigte.
Zwei Jugendliche, die in den nächsten Wochen nach Deutschland zu den 55. Internationalen Jugendbegegnungen der Solijugend fahren werden, kamen zu uns. Wir machten uns bekannt und redeten miteinander. Bei diesen Gesprächen muss man nicht helfen, die Jugendlichen kümmern sich. Dem Abend zu Ehren schnitten jeweils zwei russische und zwei deutsche Jugendliche eine Solijugend-Torte an, um sie später mit einem schmackhaften Tee gemeinsam mit allen zu verspeisen.
Morgen sagen wir Krasnodar auf Wiedersehen und machen uns auf die Reise ins Orljonok. Der Abschied tut weh. Die Neugierde und Aufregung aber steigen.
Mittwoch, 03. Juli
Der letzte Tag in Krasnodar ist vorübergeflogen. Wir waren nach dem Frühstück in einem weiteren Jugendzentrum. Dieses Mal war es gar ein Palast mit über 55 Clubs unter einem Dach. Angefangen von 3D-Druckerei, über DJ Ausbildung bis hin zu Fotografie und deren Bearbeitung, Tonstudio, Filmstudio, Theater, Ballett, Sport, Kunst, Graffiti, alles was das Herz begehrt.
Draußen spielten wir Lufthockey und Schach, drinnen DJten wir. In der Turnhalle in einem runden Kasten kämpften die Jugendlichen beim Fußball 1 gegen 1. Übrigens gnadenlos hart und schweißtreibend, aber auch enorm Spaß und Freude für die Sportler*innen und Zuschauer*innen bringend. Beim sich anschließenden Teeplausch waren die russischen Jugendlichen sehr interessiert und stellten ihre Fragen.
Auf dem Nachhauseweg in einer ziemlich alten, aber noch funktionstüchtigen, dafür aber umso wärmeren Straßenbahn diskutierten die Jugendlichen das Gesehene und wurden langsam aber sicher doch etwas melancholisch. Wir verabschiedeten uns von Wladimir, aßen dann zu Mittag, wuchteten unsere Koffer in den Orljonok eigenen Bus und ab ging’s.
Dort angekommen empfing uns unsere Gruppenbetreuerin. Sie heißt Polina, spricht neben Russisch auch Deutsch und Englisch und gibt sich große Mühe. Sie spazierte mit den Jugendlichen zur Strandpromenade. Dort wurde das Meer von uns begrüßt.
Donnerstag, 04. Juli
Heute war es hell beim Spaziergang und wir konnten die gesamte Pracht des Lagers sehen. Wunderschöne Blickwinkel taten sich auf. Das Meer vor der Bergkulisse, die vielen Gebäude, die wunderbar bepflanzten und gepflegten Blumenrabatten, die blühenden Bäume — ein Traum, das erleben zu dürfen
Nach dem Kennenlernen eines Teils des Lagers liefen wir zum Strand. Dort können wir nach Herzenslust baden. Natürlich stehen Rettungsschwimmer*innen zur Verfügung und es gibt auch eine medizinische Versorgung. Die Toiletten sind nicht weit, typisch uneuropäisch, aber sehr sauber- also nutzbar.
Nach dem köstlichen Mittagessen fuhren wir mit dem Bus in ein Unterlager und nahmen an einem Workshop über die Notwendigkeit der Rettung unseres Planeten teil. Gut war, dass er auf Englisch war. Leider blieb man an der Oberfläche, bot den Jugendlichen kaum Aktivitäten an, so dass man froh war, dass die Stunde dann doch irgendwann mal vorbei war.
Um wieder munter zu werden, gingen wir ins Wasser, badeten und spielten Ball. Und dann kam ein Motorboot des Wegs und wir machten eine Bootsfahrt entlang der Küste. Dabei sahen wir die weißen Gebäude des Lagers, die sich in die malerische Landschaft einfügen. Ich erklärte der Gruppe, was sie sah, erläuterte Funktion und Entstehung der einzelnen Bauten. Unterwegs hielten wir an. Die Jugendlichen trugen alle Schwimmweste und hinein ging es ins kühle Nass. Lockere 20 Meter waren unter uns, aber dank der Schutzkleidung fühlten sich alle sicher.
Außerdem lernten wir heute ein altes traditionelles Spiel kennen, dass man mit Holzstock und ca. 30 cm langen dicken Holzstäben spielt.
Du kannst es sicher nicht lesen, aber die Bilder sagen viel. Und wenn Du dann noch weißt, dass Tolstoi, Lenin, Gorki, Schaljapin und andere bekannte Russ*innen dieses Spiel gespielt haben, dann reihen wir uns doch würdig ein. Den Jugendlichen hat es gefallen.
Freitag, 05. Juli
Das Museum für Geschichte des Lagers stand heute auf dem Plan. Wir besuchten es natürlich und erfuhren, dass alles mit einem Zeltlager an der Küste begann, nachdem man eine Expert*innengruppe durch das Land schickte, um den besten Platz zu finden. Die Sowjetunion war groß, also bewarben sich Sibirien, der Ural, so manche Großstadt, aber eben auch die Schwarzmeergegend. Selbige wurde ausgewählt und Schritt für Schritt entstand Orljonok, das auch heute von Jahr zu Jahr wächst. Im letzten Jahr wurden z.B. drei Gebäude neu errichtet, um kreativ schöpferisch tätig sein zu können. Natürlich zeigte man uns auch, welche interessanten Leute sich entweder als Kinder oder später im Erwachsenenalter in die Gästeliste eingetragen hatten. Von fast allen Kosmonaut*innen, über bekannte Schriftsteller*innen und Künstler*innen bis hin zu Wladimir Putin — na und selbstverständlich nun auch wir.
Nachmittags durften wir den Hauptkünstler des Lagers kennenlernen. Ein äußerst kreativer Mensch, der wunderbare Bilder der hiesigen Landschaft malt, aber auch Naturgegenstände, die er auf seinen Spaziergängen findet, zu kleinen Kunstwerken umgestaltet. Wir haben bei ihm gebastelt und dürfen die Resultate mit nach Hause nehmen.
Der Höhepunkt des Tages stand nun bevor. Alle waren aufgeregt und warteten in Badesachen gespannt am Strand. Sie tauchte auf, wurde größer und größer und stand vor uns- die BANANE. Der Wellengang war hoch, der Wind frischte auf und nach dem Ablegen der Rucksäcke im Motorboot, begann der wilde Ritt. Freudenschreie, Jauchzen, glückliche Gesichter- sie hatten einen Heidenspaß und wollten am liebsten noch mehr.
Abends war die Kletterwand unser Ziel. Nahezu alle probierten es aus, andere tanzten zu bekannten Rhythmen. Vorausschauend hatten wir einen Volleyball mitgenommen, den wir dann auch zum Ballspiel auf einem der vielen beleuchteten Sportplätze mit Volleyballnetz oder Fußballtoren nutzten.
Samstag, 06. Juli
Der Tag war ruhig. Es ist ja schließlich Wochenende. Die Jugendlichen haben es genossen und wir ließen alle die Seele baumeln.
Nach dem Frühstück bastelten wir noch einmal mit dem Künstler und nebenbei erzählte er uns viele interessante Dinge über Muscheln, Perlen, Korallen und andere Meeresbewohner. Erstaunlich, was er alles weiß und noch erstaunlicher, was er alles aus diesen Dingen macht. Zum Teil durften wir wahre Kunstwerke betrachten.
Den Nachmittag konnten wir frei zum Baden nutzen. Also entschieden wir uns gemeinsam für eine Mittagsruhe nach dem Essen. Einige schliefen tatsächlich. Die letzten Tage waren anstrengend und schlauchten. Andere schwatzten oder bastelten. Das Wasser war etwas wärmer, vor allem aber welliger. Es war schon anstrengend, sich gegen die Wellen durchzusetzen. Aber, es machte Spaß.
Nach dem äußerst leckeren Abendbrot, das mit viel Appetit gegessen wurde, machten wir uns auf den Weg in ein Unterlager, dass unmittelbar am Meer gelegen ist. Orljonok besteht aus 10 Unterlagern, in denen Kinder und Jugendliche wohnen, die unterschiedliche Talente haben und verschiedenen Hobbys nachgehen. Man erwartete uns und führte uns durch das Lager. Die Kinder und Jugendlichen leben dort in Fässern, die mit Blick zum Meer ausgerichtet sind. Es gibt einen Freiluftspeisesaal, mehrere Tribünen und Versammlungs-bzw. Veranstaltungsplätze. Es wird viel dafür getan, damit es den Jugendlichen nicht langweilig wird. Neben Baden gibt es auch Unterrichtsstunden, Projekte, Wettbewerbe und Arbeitsgemeinschaften. Man hatte den Eindruck, dass die Jugendlichen sich wohlfühlen.
Nach dem Rundgang war für uns ein Treffen mit einer syrischen Jugendgruppe organisiert worden. Wir machten gemeinsame Spiele, lernten einzelne Worte der arabischen bzw. russischen Welt. Das alles bei irrem Lärm und viel Gelächter.
Sonntag, 07. Juli
Zunächst wanderten wir unsere geliebten Treppen hinab und lernten ein malerisch am Meer gelegenes Lager kennen. Im Orljonok gibt es zahlreiche Legenden, eine davon ist die der Freundschaft zwischen einem Jungen und einer Krabbe. Selbige kam später an den Strand mit ihren Krabbenfreunden und wurde zu Stein. Wir suchten die sieben Krabben im Territorium des Lagers, weil man sagt, wenn man alle sieben findet, dann kann man ins Orljonok zurückkehren. Wir wurden fündig und insgeheim hofft jeder auf eine Rückkehr hierher.
Nach der Mittagsruhe, die tatsächlich von einigen zum Schlafen genutzt wird – das Programm schlaucht eben doch- verkosteten wir alle ein traditionelles russisches Getränk — KWAS, das besonders gern eiskalt an heißen Sommertagen getrunken wird. Kwas wird aus Brot, das vergoren wird, hergestellt. Manche waren begeistert, anderen schmeckte es gar nicht.
Danach hatten wir einen weiteren Workshop: Kennst Du Wörter wie Gastarbeiter, Butterbrot, Zeitnot, Durchschlag, Schlagbaum, Wunderkind, Jäger, Perlmutt, Kurort, Landschaft oder Rucksack? Dann sprichst Du fast schon fließend Russisch, denn diese Wörter und weitere werden im Russischen benutzt und natürlich auch verstanden.
Der absolute Höhepunkt erwartete uns am Abend. Wir wanderten- und das im wahrsten Sinne des Wortes- zum anderen Ende des Lagers bis zum Autostädtchen. Dort können Jugendliche den Umgang mit den verschiedensten Transportmitteln lernen. Angefangen vom Mountainbike, über das Crossmotorrad, das Quad bis hin zum Jetski.
Beim Autostädtchen befindet sich eine international gern genutzte Crossstrecke. Erst vor ein paar Wochen fand dort ein Lauf der Weltmeisterschaft im Motorcross statt. Wir sollten die Strecke auf eine besondere Art kennenlernen. Artjom, selbst mehrfacher Meister im Motorcross, lud jeweils fünf Jugendliche in seinen Jeep, der lockere 176 PS hat und „zeigte“ den Jugendlichen seine Strecke, indem er zunächst sanft und sacht, ja nahezu zärtlich anfuhr, um anschließend wie ein Wilder über die Piste, Stock und Stein, durch Wälder, auf Wegen, aber auch auf keinen Wegen zu rösten, um nicht zu sagen – zu fliegen. Adrenalin pur. Und alle kamen zurück und hatten ein: „Ich will nochmal! / Bitte noch eine Runde! / War das geil! “ auf den Lippen. Wie gesagt ein gelungener Tag.
Montag, 08 Juli
Und schon wieder ist ein Tag ins Land gegangen und ein Erlebnis jagte das andere. Der Besuch der Ausstellung der Rettungskräfte sollte der erste Höhepunkt sein. Wir wurden mit zahlreichen Rettungseinsätzen, Unglücken und Katastrophen vertraut gemacht und stets spielte die Notwendigkeit von gut ausgebildeten Kräften des Katastrophenschutzes eine Rolle. Die Ausstellung ist sehr kreativ und mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Zahlreiche Exponate stammten aus Kinderhand. Übrigens gibt es auch in Russland zahlreiche junge Feuerwehrleute oder Wasserrettungskräfte. Eine Gruppe von 4 Mädchen gesellte sich zu uns und führte uns durch die Ausstellung. Sie hatten auch ein hübsches Spiel für unsere Jugendlichen vorbereitet.
Am Nachmittag stand eine Töpferstunde auf dem Plan. Ein verdienter Künstler des Kuban zeigte unseren Jugendlichen, wie man eine Ziege töpfert. Sie gehört als Tonspielzeug zu den traditionellen Spielzeugen Russlands und soll die bösen Geister im Haus vertreiben. Wir machten uns ans Werk und alsbald war die Ziege als solche erkennbar, natürlich nur, wenn man davon ausgeht, dass das immer im Auge des Betrachters liegt. Nun müssen die Kunstwerke noch gebrannt werden und dann werden nicht nur 13 Jugendliche die Reise nach Deutschland antreten, sondern mit ihnen auch noch 13 russische Ziegen. Auf dass die bösen Geister verschwinden. (Wenn es nur immer so einfach wäre…)
Diese ganzen Erlebnisse sollten aber für heute noch nicht alles gewesen sein. Heute, am 8. Juli, ist in Russland ein Feiertag- der Tag der Familie, der Liebe und der Treue. Zu Ehren dieses Tages wurde im Amphitheater ein Konzert veranstaltet. Und wir durften dabei sein!!! Dieses Theater wurde vor ein paar Jahren geplant, vor drei Jahren begonnen zu bauen und im vergangenen Jahr eröffnet. Es bietet Platz für knapp 3000 Leute und hat neben der Riesenbühne alle technischen Möglichkeiten.
Wir erlebten ein wunderbares Konzert mit Gesang, Tanz, Schauspiel, Filmszenen- einfach nur gigantisch. Inhaltlich ging es um die Wichtigkeit der Familie und darum, den Eltern einfach mal ohne Anlass DANKE zu sagen und ihnen deutlich zu machen, dass man sie mag. Bei manchem Lied oder mancher Filmszene kullerten winzig kleine Tränen.
Morgen geht es nach Sotschi. Das Wetter spielt mit. Es bleibt trocken und hoffentlich nicht zu warm. Hier am Meer ist es gut zu ertragen. In der Stadt wird es sicher anstrengender. Die Jugendlichen sind aufgeregt und werden sicher morgen erneut voller neuer Eindrücke todmüde ins Bett sinken.
Dienstag, 09. Juli
Nach einer Busfahrt mit dem Orljonok-eigenen Bus kamen wir in Tuapse an. Schon die Fahrt war ein Abenteuer für sich. Da es noch immer goss, fuhren wir durch Pfützen gigantischen Ausmaßes. In Russland ist alles groß. Pfützen würde man bei uns also eher Seen nennen. Die Leute nehmen es gelassen, auch das Vollgespritzwerden als Fußgänger*in nimmt man mit stoischer Ruhe hin. Bei uns wäre so mancher Tobsuchtsanfall das Ergebnis.
In Tuapse hieß es nach der Gepäck- und Personenkontrolle am Eingang des Bahnhofs „Schuhe aus“. Nicht etwa, weil man etwas hätte schmuggeln können, sondern weil es nach den Regengüssen galt, eine ca. 20cm tiefe Wasserstelle vom Ausgang bis zur Treppe zu den Bahnsteigen zu durchwaten. Wir meisterten dieses „Problem “ mit Bravour und saßen kurz darauf im Zug bequem und warm in Richtung Sotschi.
Dort empfing uns eine Stadtbilderklärerin, die fantastisch Deutsch spricht. Ein kurzer Bummel durch die Fußgängerzone in Sotschi- und schon hatten wir uns in die Stadt verliebt. Palmen, Oleander, Blumen über Blumen, subtropische Gewächse wie Bananenbäume und vieles, vieles mehr wohin das Auge auch blickte. Diese Pracht ist unbeschreiblich.
Der weitere Weg führte uns auf eine Teeplantage in den Bergen. Wir wurden in eine Teefabrik eingeladen, man erklärte uns den Werdegang des Tees, fuhr uns zu einer der vielen Teeplantagen und ließ uns dann den mit etlichen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichneten Tee verkosten. Wir durften außerdem unsere eigene Teemischung zusammenstellen und als Minisouvenir mit nach Hause nehmen.
Einmal in den Bergen fuhren wir höher hinauf in die kaukasischen Berge- in das Sportgebiet der Olympischen Spiele Rosa Chutor. Dort fanden 2014 alle Skiwettbewerbe statt. Die Landschaft ist umwerfend. Umgeben von 1500–2000 Meter hohen Bergen, im Hintergrund 3000er machten wir einen Zwischenstopp unter der höchsten, längsten und überhaupt alles… in Europa, der Welt und wahrscheinlich auch im Universum… Hängebrücke. Abenteuerlustige Besucher*innen überquerten die Brücke in 200 Meter Höhe.
In Rosa Chutor durchquerten wir in knapp 15 Minuten 17 Regionen Russlands. Moja Rossia ist ein riesiges Museumsdorf, in dem typische Bauten russischer Gegenden nachgebaut wurden. Wir waren in Sibirien genauso wie in Moskau, Urdmutien, bei den Nomaden, in den Städten des russischen Ringes, in einem Kloster und natürlich auch in Moskau. Schade, die Zeit war zu knapp. Wir hatten bei einem Stau in Sotschi viel Zeit verloren. Die fehlte uns dort, aber auch für den olympischen Park.
Den umkreisten wir mit dem speziell für uns gebuchten Großraumtaxi. Jelena, unsere Begleiterin, erklärte, was wir sehen. Genial, dass es Sotschi gelungen ist, den Park nach den Spielen und der Fußball-WM im letzten Jahr nicht seinem Schicksal zu überlassen, sondern ihn auch weiterhin zu nutzen. Der Park lebt und wird erweitert. Er wird von Gästen und Einwohner*innen der Stadt rege genutzt. Einen Einblick haben wir bekommen, schade, dass es nicht für mehr gereicht hat.
Mittwoch, 10. Juli
Es begann mit einer Busfahrt zum Unterlager „Olympisches Dorf“. Am anderen Ende des Lagers gelegen, sieht es in der Sonne blitzend oder nachts mit hunderten Lämpchen beleuchtet aus, wie ein soeben gelandetes Ufo. In diesem Lager befindet sich das Sportmuseum, in dem wir während einer Führung interessante Dinge über den sowjetischen und russischen Sport, aber auch z. B. über Olympia erfahren haben. Sehr anschaulich wurde auf großen Tafeln dargestellt, welch langen Weg das olympische Feuer von Athen nach Sotschi genommen hat. Allein in Russland durchlief es 48 Stationen, vom hohen Norden, über die Tiefen des Baikals. Selbst im Orljonok war es zu Gast und meisterte seinen Weg zu Fuß, zu Wasser, in der Luft, ja sogar per Rentier und im Weltall.
Heute Nachmittag statteten wir dem Kosmosmuseum einen Besuch ab. Unsere Jugendliche wissen nichts oder nicht viel von Gagarin und Tereschkowa, kennen nicht wirklich Sputnik, Laika und Lunachod oder Sigmund Jähn — es ist für sie nichts Sensationelles, dass Menschen in den Kosmos fliegen und eine Vorstellung davon, wie alles anfing, haben sie auch nicht. Umso interessierter sahen sie sich all die Exponate an, hörten den Ausführungen zu und machten Fotos.
Am Abend besuchten wir die Deutschlehrerin Irina. Sie wohnt mit ihrer Gruppe in einem Lager, in dem Jugendliche sich zu Gruppenleitern ausbilden lassen oder vielleicht später Lehrer*innen werden wollen. Eine gelungene Sache, alle waren begeistert. Die Jugendlichen waren im Alter unserer und warteten am gemütlichen Lagerfeuer auf uns.
Nach einer kurzen Begrüßung dauerte es keine fünf Minuten und man war im Gespräch. Russisch, Englisch, Deutsch, Hände, Füße, Gesten, Mimik, Lachen, gemeinsame Lieder, gemeinsamer Tanz deutsche Musik, russischer Gesang, ja gar ein gemeinsames „Last Christmas“!!!- was für eine Atmosphäre. Genial. Man bedankte sich herzlich, übergab kleine Geschenke, tauschte Kontakte aus und konnte sich nur schwer trennen.
Donnerstag, 11. Juli
Nach dem gemeinsamen Frühstück machten wir eine Bibliotheksführung. Diese Bibliothek muss man gesehen haben. Man sieht kaum Bücher, dabei hat man dort ca. 70000 Exemplare. Dafür gibt es dort jede Menge Ausstellungsstücke, zu denen die ältere Dame mannigfaltige Geschichten erzählen kann. Die Phantasie von ihr ist unbeschreiblich, der Einfallsreichtum verblüffend.
Nach der Mittagspause hatten wir beschlossen, dem Meer doch einen Besuch abzustatten. Es regnete nicht. Der Strand war leer, also wie für uns gemacht. Etliche gingen ins Wasser, das immer noch warm war. Als alle draußen waren, spielten wir Volleyball und so manches Kindergartenspiel. Man war mit Feuereifer dabei und wollte gar nicht wahrhaben, dass wir schon zum Abendbrot gehen mussten, obwohl wir die doppelte Zeit am Meer verbrachten als gewöhnlich.
Abends spielten wir erneut, dieses Mal unter Anleitung. Man erklärte uns Details zu verschiedenen traditionellen russischen Spielen und wir praktizierten sie mit viel Freude.
Unterbrochen wurden wir von einem gigantischen Feuerwerk, das aus welchem Anlass auch immer, über der Schwarzmeerküste abgebrannt wurde. Faszinierend- dieses Wort reicht nicht, um es gebührend zu beschreiben. Ein unerwartetes Geschenk für uns, das wir dankend annahmen.
Der nächste Programmpunkt für heute sollte der Besuch des Observatoriums werden. Wir hatten uns darauf gefreut, ABER, wir wurden enttäuscht. Das Problem bestand darin, dass der Himmel so bewölkt war, dass sich der Aufbau irgendwelcher Teleskope nicht rentiert hätte. Es war leider kein einziger Stern zu entdecken.
Morgen erleben wir unseren letzten Tag hier im Orljonok. Hoffentlich spielt das Wetter mit.
Freitag, 12. Juli
Das letzte Frühstück, das letzte Baden, das letzte Stufensteigen, eine letzte Legende zum Orljonok, die letzte Begegnung mit dem Meer. Es hieß ununterbrochen Abschiednehmen und das war für uns nicht einfach. Wir wollen nach Hause, aber genauso gern blieben wir gerne noch hier. Vielen wurde heute schmerzlich klar, dass die Reise nun mit Riesenschritten dem Ende zugeht.
Heute hat das Orljonok seinen 59. Geburtstag und alles feierte. Buntgeschmückte Wege, Häuser, tanzende, singende Kinder, Orljonoklieder wohin man hörte, Kinder in Festkleidung oder gruppeneinheitlichen T‑Shirts. Und wir dabei. Herrlich!
Den Nachmittag nutzten wir zum Kofferpacken. Und dann- ein letzter Besuch am Strand und ein letztes Baden, ein Blick zurück auf’s Meer.
Natürlich verabschiedeten wir uns auch von den Menschen, die wir kennengelernt haben. Wir sammelten unsere Bastelarbeiten ein, machten letzte Einkäufe und nahmen unser letztes Abendbrot im Speisesaal ein. Das Abendbrot war vielfältig. Man tut hier alles, um uns zufriedenzustellen. Am Ende bedankten wir uns herzlichst und mit einem Riesenapplaus bei den Küchenfrauen.
Anschließend versammelten wir uns zu einem letzten Kreis des Orljonok. Eine weitere Tradition. Wir saßen beieinander, gaben unsere Eindrücke zur Fahrt preis, bedankten uns bei Polina, die uns so tatkräftig unterstützte, aßen Geburtstagstorte und schunkelten uns langsam im Kreis umarmend zu russischer Musik in Gedanken versunken. Es war ein schöner gemeinsamer Abschluss. Ein letztes Konzert zeigte uns nochmals, dass es hier sehr viele talentierte Jugendliche gibt, die das Glück haben, so gefördert zu werden.
Nun heißt es- AUF WIEDERSEHEN Orljonok, Tschüss Russland.
Diese Begegnung wurde von der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch gefördert.