Vom 11. bis 14. Oktober hat Adeline Haaby, Jugendbildungsreferentin im Projekt „Young Verified Leaders“, an einer Fortbildung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) in Marseille teilgenommen. Zusammen mit neun anderen Teilnehmenden von deutschen, zehn von französischen und zehn von algerischen Organisationen hat sich Adeline zweieinhalb Tage zum Thema „Friedenspädagogik: wie kann man während Jugendbegegnungen über Kolonialisierung/Entkolonialisierung sprechen?“ ausgetauscht.
Anlass der Begegnung war der 60. Jahrestag der Verträge von Évian. Frankreich und Algerien gedenken auch 2022 des Algerienkriegs und die Kolonialgeschichte ist auch unter jungen Menschen in Frankreich und Algerien immer noch sehr präsent.
Zusammen und mit der Unterstützung von externen Referent*innen haben sich die Teilnehmenden der trinationalen Erinnerungskultur und der Kolonialgeschichte gewidmet. Ausgangspunkt für die Diskussionen waren die oben bereits erwähnten Verträge von Évian, die von Frankreich und der algerischen „Nationalen Befreiungsfront“ (Front de Libération Nationale, FLN) unterschrieben wurden und den Algerienkrieg beendeten.
Im Laufe der Fortbildung standen folgende Themen im Vordergrund:
- Wie gehen algerische, deutsche und französische Vereine heute in der internationalen Jugendarbeit mit der kolonialen Vergangenheit um?
- Inwiefern können eine multiperspektivische Sicht oder ein multidirektionaler Ansatz für die Bearbeitung von Kolonialgeschichte mit Jugendlichen helfen?
- Wie sprechen junge Menschen über den Algerienkrieg und welche Rolle spielt konkret für junge Franzosen*innen und Algerier*innen die Auseinandersetzung mit der Geschichte und deren Erzählungen?
- Wie werden die daraus entstehenden Emotionen und Konflikte im Rahmen der Arbeit über Geschichte und Erinnerung bearbeitet?
- Sollte diese sogenannte „Erinnerungskultur“ überhaupt noch im Fokus liegen? Was wünschen sich junge Menschen in Frankreich und Algerien heute für die Zukunft?
Darüber hinaus haben die Teilnehmenden an der Podiumsdiskussion „Von der Dekolonialisierung bis zum 60. Jahrestag der Verträge von Évian: euro-mediterrane Erinnerungskultur mit der Jugend gestalten“ am „Musée des civilisations de l’Europe et de la Méditerranée“ (Mucem) (auf Deutsch: Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeers) teilgenommen.
Das Programm beinhaltete auch eine Erkundung der Stadt mit dem Verein „AncrAges“, in der die Aufmerksamkeit auf die immer noch sichtbaren kolonialen Verankerungen der Stadt und die Rolle Marseilles zur Zeit der Sklaverei gerichtet wurde.
Für Adeline war das Highlight der Fortbildung der Vortrag von Paul Max Morin, Autor des Buches „Les jeunes et la guerre d’Algérie“ (2022) (auf Deutsch: „Jugendliche und der Algerienkrieg“, nicht auf Deutsch veröffentlicht) und des Podcasts „Sauce Algérienne“, produziert in Zusammenarbeit mit Justine Perez (auf Spotify zu finden). Nachdem Paul Max Morin auf die Ursachen des Algerienkriegs und einige Schlüsselelemente für ein besseres Verständnis eingegangen war, stellte er die konkreten Auswirkungen auf die französische Bevölkerung vor: 39 % der Franzosen zwischen 18 und 25 Jahren haben heute mindestens ein Familienmitglied, das vom Algerienkrieg betroffen ist.
Das Team von „SOS Racisme“, bestehend aus Hakim Addad, Léa Balay-Zaidat und Romain Montbeyre-Soussand, hat außerdem das Projekt „Regards croisés“ (auf Deutsch: „Gekreuzte Einblicke“) vorgestellt und über eigene Erfahrungen als direkt Betroffene berichtet.
Der Fokus während dieser drei Tagen lag auf der Kolonialgeschichte Algeriens und Frankreichs, die deutsche Geschichte, der Umgang Deutschlands mit dem kolonialen Erbe und die Auswirkungen auf die internationale Jugendarbeit wurden kaum erwähnt. Das allerdings wird auf den nächsten Treffen nachgeholt, denn die Fortbildung soll 2023 und 2024 in Deutschland und Algerien fortgesetzt werden, wenn möglich mit denselben Teilnehmenden.
Solche Treffen sind auch immer eine gute Gelegenheit, sich über Projekte auszutauschen und sich mit neuen Partnern zu vernetzen. Nassim Medjir von unserem algerischen Partner „ADEEJ“ hat auch an der Fortbildung teilgenommen und zusammen mit Adeline über Erfahrungen im gemeinsamen Projekt „Young Verified Leaders“ berichtet.