Vom 16.–18. September 2024 fand der Bundeskongress Kinder- und Jugendarbeit statt. Die Veranstaltung ging damit in die vierte Runde, erstmalig war Potsdam Ort des Geschehens.
An dem dreitägigen Fachkongress nahmen neben unserer Referentin für Internationales, Carolina Sachs, knapp 2000 weitere Vertreterinnen und Vertreter aus Fachpraxis, Verbänden, Verwaltung, Politik und Wissenschaft am gemeinsamen Austausch und fachpolitischen Debatten teil. Es wurde zu aktuellen Diskursen wie Ungleichheit, Fachkräftemangel und künstlicher Intelligenz diskutiert und informiert.
Veranstaltet und organisiert wurde der Kongress durch den Forschungsverbund DJI/TU Dortmund, den Fachverband Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit Brandenburg e. V. und die Stadt Potsdam. Regionale Mitorganisatoren waren der Landesjugendring Brandenburg e. V., das Sozialpädagogische Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (SFBB) und die Stiftung SPI – Geschäftsbereich Niederlassung Brandenburg. Der Kongress wurde außerdem durch das Bundesnetzwerk Kinder- und Jugendarbeit unterstützt.
„Jugendarbeit matters!“
In seiner Begrüßungsrede betonte der Professor für Sozial- und Organisationspädagogik Wolfgang Schröer von der UniHildesheim, dass es „systemrelevant“ wäre, wenn unterschiedliche junge Menschen zusammenkommen. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass wir in einer postmigrantischen Gesellschaft die internationale Jugendarbeit überdenken müssten, da diese sehr stark durch die soziale Ungleichheit konfrontiert wäre. Er betonte außerdem, dass wir in einer Zeit leben würden, in der die Mehrheit der Wahlgesellschaft bald nicht mehr erwerbstätig sei und junge Menschen daher immer weniger Stimmen hätten.
Schulessen für Kinder und Jugendliche: noch immer nicht kostenlos
Moritz Tapp vom Deutschen Bundesjugendring sprach in der Session „Wie Armut und Ungleichheit unsere Gesellschaft beeinflussen“ von seiner eigenen Biografie und seinem Kampf, sich durchzubeißen, um studieren zu können und sich in unserem klassistischen System zu behaupten. Er betonte, dass es bereits Nachweise von Mangelernährung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland gäbe und es auch aufgrund der aktuellen Lage in Berlin ein Skandal sei, dass sich die Akteure nicht darauf einigen könnten, Schulessen an Kinder und Jugendliche kostenlos auszugeben.
Ungleichheit: seit 2000 eher gewachsen
„Hauptsache, alle haben etwas zu tun und niemand weiß etwas vom anderen.“: Prof. Dr. Marcel Helbig vom Leibniz-Institut für Bildungsverläufe in Bamberg forderte in der Session „Wie Armut und Ungleichheit unsere Gesellschaft beeinflussen“ eine Plattform für die Übersicht aller an Kitas und Schulen durchgeführten Programme. Derzeit bestehe eine unüberschaubare Ansammlung von Projekten ohne klare Ziele und eine langfristige Strategie. Ebenfalls betonte der Professor, dass sich an der Ungleichheit zwischen 2000 und 2021 nichts verbessert hätte, sogar eher verschlechtert.
Kommunen in Deutschland: stark unter Druck
Christian Kurzke von der Evangelischen Akademie Sachsen schilderte in seiner Session „Kommentierung aus Praxisperspektive. Was bedeutet das Aushöhlen der Infrastruktur – konkret vor Ort?“, dass die Kommunen aktuell stark unter Druck stünden und er als Fachkraft ebenfalls stark unter Druck arbeiten müsse. Die Frage, woher die Kraft und Ressourcen kommen sollten, um für eigene Rechte einzustehen, sei aktuell nicht zu beantworten, zumal es viel Zeit koste, beispielsweise eine bessere tarifliche Einstufung von Mitarbeitern durchzusetzen. Er berichtete auch, was es bedeute, einfach nur zuschauen und nicht eingreifen zu können, wenn Kommunen kein Geld mehr hätten, und was es hieße, wenn sich junge Menschen gegen ihre eigene Zukunft entscheiden und blau bzw. braun wählen. Sein Schlusswort lautete „Reparieren ist immer teurer als zu pflegen“, er forderte die Akteure damit zum Handeln auf.
In der Session „Demokratie schützen, Lebensgrundlagen bewahren, Solidarität sichern: Politische Anliegen junger Menschen“, die vom Vorsitzendes des Deutschen Bundesjugendrings Wendelin Haag moderiert wurde, stellten Vertreter*innen des Bundes der Alevitischen Jugendlichen (BDAJ) und der Naturfreundejugend Forderungen an einen von Deutschlands bekanntesten Ökonomen, Prof. Dr. Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), und Dr. Jan-Niclas Gesenhues vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV). Hierbei betonten Gülistan Bayan vom BDAJ und Frank Hoppe von den Naturfreunden, dass nun endlich das Demokratiefördergesetz auf den Weg gebracht werden müsse. Ebenfalls wurde gefordert, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern und das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken.
Rechtsextremismus: größte Bedrohung für Demokratie
Nach Dr. Jan-Niclas Gesenhues sei der Rechtsextremismus eine der größten Bedrohungen für die Demokratie, nach Prof. Dr. Fratzscher führe er zu Abwanderung, insbesondere aus dem Osten Deutschlands. Diese Abwanderung führe wiederum zu fehlender Infrastruktur, Abschottung, Grenzschließung und so letztendlich zu noch mehr Rechtsextremismus. Einigen konnten sich alle Vertreter*innen darauf, dass man insbesondere Jugendverbände in Regionen unterstützen müsse, wo der Rechtsextremismus besonders stark ist.
Hieran knüpft auch die Frage der Vertreterin des DBJR, Özge Erdoğan in der Session „Wo stehen Jugendverbände? Ein empirischer Blick auf Organisationsstruktur, Ehrenamtliche und rassismuskritische Öffnung in Jugendverbänden“ an, inwieweit Jugendverbände für Menschen mit Einwanderungsgeschichte geöffnet werden können.
Fazit unseres Referentin für Internationales: „Die Organisation des Kongresses und die Atmosphäre waren sehr professionell. Begrüßenswert war im Hinblick auf die aktuellen Wahlergebnisse, dass der Kongress erstmalig im Osten Deutschlands stattfand. Was mich nachdenklich stimmt, ist die zunehmende Unzufriedenheit bei Jüngeren, die immer weniger Stimmen haben, der Hilferuf vieler Kommunen, wenig bis gar keine Mittel mehr für Kinder und Jugendliche zur Verfügung zu haben, und die damit verbundene Aushöhlung der Infrastruktur, insbesondere im ländlichen Bereich. Da müssen wir anpacken und aktiv werden!“